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Geschichte

VON DER HILFE ZUR SELBSTHILFE

Als Leiter der nachgehenden Drogenarbeit Baselland (Gassenarbeit) gründete Jürg Lützelschwab 1993 zusammen mit ehemaligen Drogenabhängigen eine Selbsthilfegruppe. Daraus entstand 1993 unter dem Titel «Hilfe zur Selbsthilfe» der Verein abri. Der Verein sollte Menschen mit einer Suchterkrankung dabei helfen, sich in der Gesellschaft wieder zurechtzufinden.

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In Zürich wurde zu jener Zeit der Platzspitz geräumt und definitiv aufgelöst. Der Platzspitz und der Letten in Zürich dienten vormals als Versammlungsort für hunderte, teilweise gar weit über tausend, Drogenkonsument*innen, um Drogen zu handeln und zu konsumieren. Oft lebten die Menschen auf dem Gelände.

 

Nach der Auflösung der offenen Drogenszene verteilten sich die Drogenkonsument*innen, teilweise freiwillig, teilweise nach wiederholter Aufforderung, auf ihre Wohnkantone und Wohngemeinden. Dem Gebot der Stunde folgend, gründete und eröffnete der Verein abri das Wohnheim Erzenberg in Liestal. Dort wurden eine Unterkunft und ein Tagesprogramm für Menschen mit einer Suchterkrankung angeboten. Bereits damals wurden möglichst wenige Bedingungen an eine Aufnahme geknüpft. Nicht zuletzt weil auch Ex-Drogenkonsument*innen bei der Konzepterarbeitung mitwirkten, wurden die Aufnahme- und Aufenthaltsbedingungen möglichst nah an die Realitäten und Lebensbedingungen sehr stark drogensüchtiger Menschen geknüpft.

 

Es ist der Interdisziplinarität des Gründerteams und der interessierten Mitwirkenden, im Besonderen Jürg Lützelschwab, Jürg Voneschen und Vittorio Giardiello zu verdanken, dass bereits damals auf viel nützliches 'Insider' -Wissen und Erfahrung zugegriffen werden konnte. Die Erkenntnis, dass Drogenkonsum nicht mit mangelnder Willenskraft, oder mit charakterlicher 'Weichheit' zu erklären ist, gehört für die Mitarbeiter*innen des Wohnheims Erzenberg zum Grundwissen. Der verordnete Verzicht auf Drogen, begleitet durch Fachleute und flankiert von einer sinnvollen Therapie, ist ein möglicher Weg aus der Abhängigkeit. Dieser Weg wurde von den abri-Verantwortlichen jedoch zu keiner Zeit zum Königsweg erklärt. Er wirkt zu eindimensional und er schien für die Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnheims Erzenberg wenig erfolgsversprechend. Der verordnete Verzicht ist der Versuch, den Nucleus accumbens im Gehirn mit Gewalt neu zu programmieren. Wer einen Therapiezyklus von 6 bis 12 Monaten durchhält, darf dann als geheilt entlassen werden. Allerdings lässt sich unser Gehirn nicht so einfach umprogrammieren, was längerfristig meist zu einem Rückfall führt. Und ein Rückfall bedeutet für Menschen mit einer Suchterkrankung meistens „zurück auf Start“ unter erschwerten Bedingungen.

 

Nur die Bearbeitung mehrerer Lebensbaustellen gleichzeitig oder nacheinander könnte zu einer Veränderung des Konsumverhaltens führen. Eine wichtige Veränderung war und ist die Strukturierung des Tagesablaufs. Der Tag soll zu einer festgelegten Zeit beginnen und einer gewissen Ordnung folgen. Was einfach und alltäglich klingt, war und ist für einen in hohem Masse suchtmittelabhängigen Menschen nicht einfach zu etablieren. Die Drogenbeschaffung und der Drogenkonsum stellen eine Parallelwelt dar, welche wiederum von jedem Einzelnen individuell belebt wird. Eine Parallelwelt zu unserer „normalen“ Welt, die für aussenstehende Dritte oft kaum zu verstehen ist. Das Team des Wohnheims Erzenberg bietet eine gute Mischung aus jungen Berufseinsteiger*innen, alten Häsinnen und Hasen und Ex-User*innen. Dies führt dazu, dass die schwierigen Lebenssituationen der vom Wohnheim Erzenberg betreuten Menschen von unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden und ein ganzheitliches Verständnis für die individuellen Problemlagen geschaffen werden kann.

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In den vielen Jahren seit der Verein abri existiert, haben sich die Drogenkonsument*innen und damit die Drogenkultur sehr verändert. Es ist ein Markenzeichen und eine Qualität, dass abri und damit das Wohnheim Erzenberg den Willen und auch die Möglichkeit hat, organisch und fast zeitgleich mitzuziehen. So bestand Mitte bis Ende der 90er Jahre ein grosses Bedürfnis nach direkter Information im Namen der Prävention. Die Schulen waren interessiert daran, ihre Studierenden mit Institutionen, mit Fachleuten und ganz besonders mit Menschen mit einer Suchtmittelerkrankung direkt zu konfrontieren. Das Wohnheim Erzenberg konnte dieses Bedürfnis vollumfänglich befriedigen und wurde diesbezüglich hoch frequentiert. Schulklassen besuchten das Wohnheim, das Wohnheim besuchte Schulen. So wie das Bedürfnis auf konfrontative Prävention entstand, so wich es auch wieder. Die zunehmende Substituierung, vorwiegend mit Methadon, veränderte den Drogenmarkt nachhaltig, schuf neue Bedürfnisse während andere verschwanden. Und während Heroin seinen hohen Stellenwert einbüsste, blühte nun der Kokainhandel. Auch diese Veränderungen nahmen und nehmen Einfluss auf die Klientel, auf die Betreuungsmethodik, auf die Gruppenkultur.

 

Alle Veränderungen können auch die Erzenberg Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verstehen und begreifen. Aber es zeichnet das Wohnheim Erzenberg sicher aus, dass sein Team diese Bewegungen aufnimmt, kritisch beleuchtet und schnell auf die Signale reagieren kann.

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Der Verein abri und das Wohnheim Erzenberg haben über die Jahre viele Herausforderungen gemeistert und scheinbar unüberwindbare Hürden überwunden. Der unerwartete und plötzliche Tod des langjährigen Gründungsmitglieds und "Heimvaters", Jürg Voneschen, am 21. April 2020, war und ist das einschneidendste und traurigste Ereignis seit der Vereinsgründung. Jürg war das Herz und die Seele des Erzenbergs und er hat die Institution nachhaltig geprägt und weiterentwickelt. Seine Präsenz, seine Schritte durch die Gänge mit seinen Cowboy-Stiefeln, seine unvergleichlichen, humorvollen aber auch zynischen jedoch immer treffenden Sprüche und seine ganz besondere Art und Weise, wie er die Institution geführt hat, bleiben unvergessen. Der Erzenberg wird sich - dem Zeitgeist entsprechend - in den nächsten Jahren weiterentwickeln und verändern. Jürgs Grundsätze, seine Haltung und Einstellung werden bestehen bleiben: Der Erzenberg ist und bleibt ein Ort für alle Menschen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden und ein Zuhause, wo man verstanden wird.

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WEITERE INFOS ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

Der folgende Link führt zu einer ausführlichen Sendung des Schweizer Fernsehens über die Zeit der öffentlichen Drogenszenen in der Schweiz.

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